Das katholische Kind.

Ein Gedicht von Christine Biermann
Bigotter Gehorsam war dem Klerus geschuldet,
und von uns Kindern von klein auf erduldet.
Wenn Pfarrer Böckl, der gestörte,
uns Kinder im Beichtstuhl verhörte,
was für uns Kleine grässlich,
ob die Sünden schwer waren oder lässlich.
Er lockte Geständnisse aus uns Zwergen;
wir hatten wahrlich nichts zu verbergen.
Mit List konnten wir uns überwinden,
harmlose Sünden zu erfinden.
Manch lange Buße, die auf mich gekommen,
hab ich mit nach Haus genommen.
Nun, bigott bin ich nie gewesen,
aber mein braves Wesen
richtete sich nach der Obrigkeit,
denn mit Auflehnen kamen wir nicht weit.
Außerdem kannten wir so was nicht.
Demütig in Geduld und Verzicht,
stampften wir tapfer durch Kälte und Schnee;
im Warmen taten die Finger weh.
Ja, Demut wurde von uns verlangt,
Wehleidigkeit aberkannt.
Wenn ich an die Schulmessen denke,
an die Herrgottsfrüh und die Kirchenbänke,
wo wir knien mussten in den Reihen,
hungrig und durstig, das war schon Kasteien.
Ganz ehrlich?
Was Gutes hat die Askese schon.
Wenn`s schwer wird, lauf ich nicht davon.
Auch wenn mir nicht viel bliebe,
hätte ich noch meine Nächstenliebe.
Ich beziehe Gott aus dem Herzen,
ab und zu Kirchgang, Weihwasser und Kerzen.
Andersdenkende nie ich bekehrte,
lebte allein die christlichen Werte.
Innehalten im Gotteshaus,
das In-sich-kehren, das macht schon was aus.
Da die Christen von heute kaum noch gläubig sind,
ruht in mir noch das katholische Kind,
lässt Gott in seine Seele schauen,
wenn die Sorgen hohe Berge bauen,
denn, wohin soll es hin mit seinen Fragen,
wenn Menschen ihm nichts mehr zu sagen haben!
Gott ist meine letzte Instanz,
entzogen habe ich mich seiner nie ganz.
Im Glück brauchte ich ihn nicht,
doch im Dunkeln zeigte er mir immer sein Licht.

Informationen zum Gedicht: Das katholische Kind.

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24.04.2022
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Christine Biermann) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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