Beuteschema

Ein Gedicht von Sandra Stuber
Wer klopft so spät bei Nacht und Wind?
Es ist Herr Specht, vom Hämmern taub, vom Alter blind,
ledig Single-sucht, wieder ohne Frau und ohne Kind.

Im Inneren des Kirschenbaumes,
inmitten eines fröhlich-feuchten Traumes
erhebet sich die Wurmesfrau,
vom tiefen Blick in lange Gläser blau,
vom Hämmern sauer
und über Männer auch nicht wirklich schlauer.

Oh holdes Wurmesweib!
Darf ich Sie zur Türe bitten?
Ich habe doch genug gelebt, genug geliebt, genug gelitten!
Möcht' mich an Ihren üppig Körper schmiegen,
Sie in sanften Schlafe wiegen,
mich für Sie strecken und verbiegen.

Es war zum Vögelkriegen!
Jetzt stand der Alte vor der Pforte,
im Schnabel nichts als hohle Worte.

Im Baumeshaus war finst're Nacht,
die die Wurmesfrau lieber hätt im Bett verbracht,
doch nun zum dunklen Flure eilte,
weil dieser Hohlraumexperte dort verweilte.

Oh du wundersame Wurmeswonne,
du bist mein Licht im Dunkeln, meine nächtlich Sonne!
Steh mir bei in schwarzen Stunden,
heile meine Herzenswunden,
schlüpfe in mein Federkleid,
heute, morgen, alle Zeit bis in die Unendlichkeit!

Was hatte der im Oberstübchen,
das verwöhnte Spechtenbübchen?
Unerhörte Art und Weise,
der hatte doch ‘ne Full-Time-Meise!

Von draußen dringt ein Klopfen gegens Tor
an der Wurmesdame waches Ohr.
Erst sanft, dann laut und resolut,
dass es Frau Wurm im wachen Ohr weh tut.
Aus dem Klopfen wird ein Hämmern,
laut genug, die Wurmesdame zu belämmern.

Mach auf die Tür, die Tore weit,
für schöne Stunden nur zu zweit.
Lass uns einander in die Augen schauen,
bis in den bitter-zarten Morgengrauen.
Oh, du süße Wurmesschnecke,
auf dass ich deinen Charme entdecke!

Grundgütiger!
War dieser schräge Vogel, dieser olle,
denn nun völlig von der Rolle?

Das Hämmern wird zum festen Hacken,
Latten splittern, Balken knacken.
Fetzen fallen, Federn fliegen,
Flächen sprengen, Balken biegen.
Ein Schnabel, der die Tür durchbohrt,
ein Baumhausflur, in dem es poltert und rumort,
die Wurmesfrau kauernd im dunklen Eck,
der Spechtenherr draußen lauernd und noch nicht weg.

Hab keine Angst, du hübsche Wurmesbraut,
mein Herz schlägt für dich hörbar laut.
Ein Schauer streift durch mein Gefieder,
meine Seele kniet vor deiner nieder.
Lass uns vereinigen
und unsre Liebe vor dem Herrn bescheinigen.
Öffne die Tür ein kleines Stück,
öffne sie zu unsrem Glück!

Dieser irre, arme Kropf,
war wohl nicht ganz dicht Kopf!

Die Türe kracht und bricht,
ein Schnabel pickt und sticht,
ein Würmchen kriecht,
ein Würmchen flieht,
bis es keinen Ausweg sieht.
Ein Schnabel dringt ins weite Baumeshaus,
zerrt ein Würmchen mit heraus.
Ein Würmchen wandert in den Spechtenschlund,
der Spechtenmagen knurrend und noch kerngesund.

Doch die holde Wurmesfrau,
vom Blick in tiefe Gläser blau
und selbst nicht mehr in jungen Tagen
ist Gift für einen alten Spechtenmagen.
Innereien ziehen, Organe stechen
Magenwände biegen und erbrechen,
befreien sich vom süßen Wurmesweib
von Wurmesseele und vom Wurmesleib.

Das Würmchen draußen,
das Toben drinnen,
ein Spechtenhirn fernab von Sinnen.
Ein Zittern und Zucken,
ein Specht am Spucken,
ein Specht in schockschwerer Atemnot -
das Würmchen lebt,
der Specht ist tot.

Auf Spechte sauer,
von Männern überhaupt nicht schlauer,
widmet sich die Wurmesfrau diesem endlos leidig‘ Thema:
Sie war einfach nicht sein Beuteschema!

Informationen zum Gedicht: Beuteschema

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18.10.2016
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