Wundersame Rettung

Ein Gedicht von Annelie Kelch
Ein Sternlein stand allein
am Himmelszelt und glühte.
Die Nacht war schwarz,
die Nacht war lang -
so sehr es sich auch mühte
um etwas Licht auf Erden:
Es war gar schwer und wollte
keinen Deut heller werden.

Der alte Mond um ein Uhr elf
erwachte aus dem Schlummer,
wollt wissen: „Was ist los, mein Lieb,
wie heißt dein kleiner Kummer?
Bist du heut Nacht allein?“ -
„Ach, guter Mond“, seufzte der Stern,
„hilf mir mit deinem Schein,
lass es ein wenig heller auf Erden sein.

Im Wasser, in der Elbe,
da treibt ein Flüchtlingskind.
Ich möcht' so gern, dass einer
den kleinen Buben find'.“

Der Mond blies seine Backen
und wurde rund und voll.
Ein kleiner Wind erwachte
und stob hinab wie toll,
stieß Wellen und den Buben
bis an den dunklen Strand ...
der Mond schien hell und heller,
die Nacht verschwand im Keller,
den Bub ein Fischer fand.

Das Sternlein ließ sich fallen
vorm Hospital der Stadt,
darin der gute Fischer
den kleinen Bub gebracht.
Dort schlüpfte es durchs Fenster,
das weit geöffnet stand:
Der Kleine lag im Bettchen -
mit dem Gesicht zur Wand.

Bevor 's zersprang, hat' s Sternlein
gestrahlt mit letzter Kraft.
Es hat gereicht, es war genug:
Der Bub hat es geschafft.
Ihr fragt, weshalb in Nächten
der Mond nur halb erscheint? -
Dann hat der liebe Gauner
vor Gram sich schlankgeweint.

Informationen zum Gedicht: Wundersame Rettung

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03.07.2017
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