Wintereinbruch

Ein Gedicht von Annelie Kelch
WINTEREINBRUCH

Der Fluss hält sich bedeckt und seinen Atem an.
Vom Himmel stiebt der erste leise Schnee.
Der Wind vertreibt das letzte Blatt vom
Baum; das tut ihm weh. Der Herbst ist
auf der Flucht vorm Weihnachtsmann.

Die Vogelvagabunden sind schon lange auf der Walz:
einige leicht beringt, die anderen gänzlich ohne Pässe.
Natur und Stein verströmen bitterkalte Nässe.
Die Gans verkommt zum Braten und zu Gänseschmalz.

Der Winter stapft entschlossen durch das Land
und malt mit klammen Bärentatzen alles weiß.
Nur Grog und Glühwein werden noch gefährlich heiß
vorm Rathaus, auf dem Weihnachtsstand.

Zig Köpfe fiebern und zig Mandeln schmerzen.
Die Welt besteht zum größten Teil aus Eis und Schnee.
Man lebt von Stollen, Marzipan und Spekulatiustee.
Vom Frost besetzte Städte schmücken sich mit Kerzen.

Die flinke Haselmaus träumt tief und seufzt ganz leis’.
Der feiste Dachs kommt gänzlich ohne Futter aus.
Wer jetzt ein Dach hat, bleibt in seinem Haus.
An manchen Fenstern blühen Christrosen aus Eis.

Informationen zum Gedicht: Wintereinbruch

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28.10.2016
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