Titel | ||||
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215 | Frau Holles Nothelfer | |||
Vorschautext: Frau Holle schlief, vergaß das Schütteln der Polster, keine Flocke flog. Wen wundert’s, dass der Erdling greinte und eine saure Miene zog. Man schimpfte, haderte und drohte der Schneefrau mit Berufsverbot. Da schritt der Raureif ein. Der Bote des Winters half dann aus der Not. Er hauchte Glitzer in die Bäume, warf Sternkristalle übers Land, ... |
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214 | Schwarzeweißer Morgen | |||
Vorschautext: Ein Gipfel ragt als Insel aus einem Nebelsee. Den Kahlbaum zeichnen Pinsel mit Tusche in den Schnee. Schwarzweiß mit grauen Schatten zeigt sich der frühe Tag. Die Sonne sendet matten, gedämpften Strahlenschlag. Auch bringen Möwe, Krähe kein Jota Farbton ein. ... |
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213 | Mona Lisa lächelt | |||
Vorschautext: Mona Lisa lächelt immer, manche sagen grenzdebil. Mir gefällt der leise Schimmer leichten Irreseins, der Glimmer ganz akuter Zwangsneurose in der wunderbarsten Pose. Auch da Vinci sah das so, malte dieses Lippenfroh so betrachtet aus Kalkül. |
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212 | Grabstein-Gassi | |||
Vorschautext: Der Vorteil eines Grabsteins ist (anstelle eines Hundes nämlich), er wirkt in keinem Fall vergrämlich, macht auf der Straße keinen Mist und zerrt nicht an der Leine. Dem Bernhardiner oder Spitz ist so ein Stein in vielen Dingen weit überlegen. Nur zum Springen vom Vorder- auf den Hintersitz, da fehlt die Kraft der Beine. ... |
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211 | Hausstaubmilben | |||
Vorschautext: Nicht vertreten Im großen Drama der Antike wo Zeus, Athene, Eros, Nike den Kosmos auf die Bühne tragen, wird stets ein Wesen unterschlagen, erwähnt mit keiner einz’gen Silbe. Das Unrecht trifft die Hausstaubmilbe. Auch jenseits der Hellenendichtung erfährt das Tierchen kaum Gewichtung – und das stimmt traurig, ganz furchtbar traurig. |
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210 | Kälte, die wärmt | |||
Vorschautext: Kälte, die wärmt, dich nicht verhärmt. Kälte im Birkenreis, Glitzer-Eis, Bodenweiß. Kälte, die klärt, Strahlstunden mehrt, Schönes noch schöner macht. Kälte, die lacht. Kälte im Reifkristall, Flockenfall, überall. ... |
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209 | Goldlaubteppich | |||
Vorschautext: Blattgeschwister tanzen Reigen, trudeln schwingend von den Zweigen, Goldlaub treibt im Gartenteich, Inselgelb im blauen Reich. Lindenäste werden kahl. Diese Stunde kennt kein Fahl, jede Farbe schwelgt in Tönen, heller, dunkler, sie versöhnen mit dem Schwadenstrich, dem Grau. Kurz die Zeit für solche Schau. ... |
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208 | finkennovembergedanken | |||
Vorschautext: feuerzungenkörnchenkorb blumensonne finkenwonne seh dich nicht find dich nicht distelsamenstachelkopf futterkrippe finkenwippe seh dich nicht find dich nicht ... |
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207 | Noahs Erkenntnis | |||
Vorschautext: Dem lüsternen Fuchse zu hoch hängt die Traube, mir nicht, denn ich sehe und spüre die Reife, die Süße der Beeren, den Glanz. Ich begreife, dass winzige Sonnen dort prangen und glaube an Noahs Verlockung, die Säfte zu klären, um dann ihren Geist in den Becher zu leeren. |
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206 | Herbstentführung | |||
Vorschautext: Der Tag erwacht, sein Morgengähnen zeigt schon festen Willen, mit viel Bedacht das Schöne in den Stundenlauf zu füllen. Die Birke strahlt noch heller als an langen Sommertagen, der Springquell malt den Regenbogen vielfach. Will er fragen, ob ich vielleicht der Fantasie den freien Lauf wohl gäbe. ... |
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205 | Nebelblicke | |||
Vorschautext: Es fliehen die Nebel nicht, steigen nicht, bleiben in Obstbäumen hängen, verdüstern den Tag. Wie schlechtes Gewissen verharren sie, treiben ihr Spiel mit den Sträuchern im Rotbuchenschlag. Geheimnisse hüten sie, lassen nur ahnen, was hinter dem Milchglas sich abspielen kann. Die Schwaden umziehen in feuchtschweren Bahnen den allentags märchenhaft finsteren Tann. Und dennoch – wie alle Natur dies tut – schenken die wolkigen Luftfahnen Heimeligkeit. ... |
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204 | Adventmarktgewimmel | |||
Vorschautext: Ein Rentier hängt im Tannengrün, der Weihnachtsmann steht frierend Wache. Zwei Leuchtstoffelche klettern kühn Fassaden hoch. Dort blinkt ein Stern, er zuckt, sodass das Auge schmerzt. Amerika ist auch nicht fern, doch hör ich Jingle Bells ja gern. Erheiternd alles – und ich lache. Da schüttet mir ein junger Mann den Glühwein auf die neue Hose. Dann rempeln mich zwei Engel an, ... |
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203 | Nebelfrei | |||
Vorschautext: Zum Spiel des Nebels mit dem Licht gelüstet es den Tagstern nicht, so bricht er mit Novemberbräuchen, muss heute keinen Dunst verscheuchen und geht in seinem Morgenlauf als Pfauenrad aus Strahlen auf. Es scheint der Busch zu brennen, hell erstrahlt die Fichte, ein Gesell des Schmiedes schürt noch Essenfeuer, begrüßt den Tag so. Lieb und teuer ist dieser Aufbruch mir und dir ... |
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202 | Weihrauch zieht um den Berg | |||
Vorschautext: Nicht Weihrauch ist’s, doch scheint es so, wenn Bodenwolken langsam steigen, sich an den Hang des Berges neigen und Fenster sich vom Nebel scheiden. Grad diese Stunde mag ich leiden, Man hört „in dulci jubilo“, denn notenschwanger ist die Luft. War’s doch der Harzqualm aus den Fässern, Zerstäubung gar von Rosenwässern, die solche Ankunftsstimmung zeugen? Ich will mich dem Gedanken beugen ... |
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201 | krippenwelt | |||
Vorschautext: krippenheu muttertreu hirtenstab königsgab‘ josef wacht kindlein lacht schäflein und cherubim hobelbank schusterpfriem palme und tannenbaum wüste und wiesensaum dromedar alpenschaf bettler und stolzer graf ... |
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200 | Der Kragen-Erdstern | |||
Vorschautext: Der Kragen-Erdstern, Pilz, gedrungen, hat eine Krause umgehungen. Allein des Mittelwortes Form zeigt an, der Pilz verachtet Norm, warum, weiß niemand so genau, im Satz- sowie im Körperbau. Wer Grundgrammatik so verachtet, ist ungenießbar, streng betrachtet. |
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199 | Ich wünsche ein gutes neues Jahr fürs neue Jahr | |||
Vorschautext: Der gute Rutsch ins neue Jahr ist gut gemeint, doch offenbar auch tautologisch. Überflüssig „das neue Jahr“ . Denn jiddisch bissig heißt rosch Beginn (gemeint des Jahres), wär doppelt schlicht was Sonderbares. Hebräisch sagt man rosch haschana, doch weiß bei uns das wirklich kana. |
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198 | Im Spätoktoberwald | |||
Vorschautext: Heller als zur Sommerzeit, greller als im frühen Mai dringt das Licht durchs Kronendach. Abgelegtes Buchenkleid deckt den Boden. Leicht und frei rieselt Blattgold tausendfach, dort im Spätoktoberwald. Ringeltauben sitzen schweigend auf den halb entlaubten Ästen. Finstre Krähennester tarnen sich als Misteln, Zweige neigend. ... |
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197 | Über die Verbreitung der Kellerassel | |||
Vorschautext: In München lebt die Kellerassel, in Linz, New York und Lauterbach. Sie wohnt in Regensburg und Kassel, in Frankfurt dem Vernehmen nach. Dass so ein Tier auch Augsburg liebt, Venedig, Bregenz oder Bremen, es dieses auch in Flensburg gibt, ist unverfänglich anzunehmen. Die Asseln – wie hier aufbereitet – sind offensichtlich weit verbreitet. |
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196 | Noch inniger geht's nicht | |||
Vorschautext: Wenn des Nachts die Flatterleichen hin durch kahles Astwerk streichen, wenn der Kauz die Totenlieder schaurig hören lässt, ach Frieda, ja, dann denke ich an dich. Schau, du hast die Vogelgrippe, Löcher in der Unterlippe, bist selbst Schrecken den Vampiren. Frieda, kann dich dies nicht rühren, steht es wahrlich schlimm um mich. ... |
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