Im 12. Stock des Plattenbaus

Ein Gedicht von Klaus Enser-Schlag
So lieg‘ ich hier, ich alter Mann,
Verwesung schreitet rasch voran,
im 12. Stock des Plattenbaus,
in diesem anonymen Haus.

Die Einsamkeit setzte mir zu,
ich gab mir selbst die ew’ge Ruh.
Kein Mensch, der hier noch mit mir sprach,
soziales Umfeld – schrecklich brach…

Ich lös‘ mich auf – mit Haut und Haar –
die Fliegen finden’s wunderbar…
Ein alter Mann, wer braucht den schon?
Der macht nichts und bekommt Pension…

Noch heute träum‘ ich von Berlin,
ich musst‘ mit meiner Mutter flieh’n…
So viele tot, die Straßen leer
und ich versank im Tränenmeer…

Jetzt pochen sie an meine Tür,
verzeiht, ich kann ja nichts dafür,
dass ich Euch nie mehr öffnen kann,
denn ich lieg hier – als toter Mann.

Schon steht vor mir ein Polizist
und ruft erbleichend: „Welch ein Mist!“
Dann kotzt er mir aufs Totenbett,
ich weiß – ich bin nicht sehr adrett…

Vom 12. Stock des Plattenbaus,
trug man mich heute Mittag raus.
Betroffenheit wird simuliert,
bis es dem Nächsten hier passiert…

Informationen zum Gedicht: Im 12. Stock des Plattenbaus

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19.08.2015
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