Der verliebte Luftballon.

Ein Gedicht von H. Aemmerli
Ich möcht ich wär ein Luftballon,
himmelblau und nahtlos rund,
am dünnen, weissen Garn
an deinem feinen Handgelenke beben,
auf der Höhe deines sixtinisch-klassisch Köpfchens,
das bedeckt mit dem so aufregend rötlich Haar,
auf dem Niveau deiner diamantenreinen Augen,
die, direkt den meinen gegenüber,
so freundlich forschend fragend
gross und erstaunend, tief in mein Inneres tauchen.

Hopsend, hüpfend begleit ich dich
auf deinem Bummel durch den Kirchweihplatz,
festgeknüpft an deiner zarten Hand
die so resolut das Schimmelpferdchen zügelt
das zum alten Walzertakt sich dreht,
und das du so gefühlvoll streichelst.
Mich dies vor Eifersucht beinah zum Platzen brächte,
wenn nicht der leichte Luftzug,
der das Ende deines Rockes sanft zu heben wagt,
mir nicht schon den letzten Resten Atem nämte.

Spiegelnd, spielend schreit ich mit dir
durch die zur Schau gestellten Stände
zum herausfordernd blau und weissen Lukas,
wo muskel-proz'ge junge Männer
nur ein kläglich Mittelmass erhämmern.
Für dich werd ich das gewichtig Objekt
unwiderstehlich in den weiten Himmel hissen,
das Lukas-Glöcklein in den Weltall schlenzen,
dass alle Glocken zwischen Dorf und Rom
bis in alle Ewigkeit für dich erklingen müssten.

Auf und ab gewiegt werd ich mit Dir,
hochgedreht in steten, sicheren Schüben
ins Zenit des riesig-roten Rades,
ungeduldig wartend auf den hohen Halt,
der keine Zeit gewährt aus erhab'ner Höh
das Geschehen auf der Wiese zu belächeln,
denn zu heiss ist mein Verlangen, zu günstig die Gelegenheit,
dir ein noch so flüchtig kurzes Küsschen zu entrauben,
träumend, dass eine kleine Prise deines rosa Rouges
an meinem so fragil-sensiblen Äusseren haften bleibt.

Trippelnd, tänzelnd tret ich mit dir
in das Zelt des tätowierten Typen,
den keine Stricke länger als für Minuten fesseln können.
Ein Prototyp geballter Kraft.
Den du mit kuriosem Blick erstaunt bewunderst.
Könnte aus angeschwelltem Neid ihn in die Erde treten.
Für dich werd ich alle Banden bersten,
alle Gefängnistore türmen,
bombensichere Beton-Bunkerwände
zu Butterballen kneten.

Erregt erwartend setz ich mich mit dir
in die buntbemalten Wagen,
die knarrend in luftige Gefilde kriechen,
um sich mit voller Wucht ins Orbit der grossen Acht zu winden.
Ich halt dich fest, lass keine noch so gewalt'ge Macht
dir je ein Härchen krümmen.
Möge die Erde beben, die Gebirge biegen,
dir wird nichts geschehen, solang noch eine Milli-Athmosphere Druck
in meinem Inneren zu finden.

Zaudernd, zupfend zieht es mich mit dir,
auf einen Platz ganz nah der Bühne
des Gentlemans im magisch-zaubernden Zylinder,
wo bunte Bänder, weisse Täubchen erscheinen und verschwinden.
Tonnen von gebrannten Mandeln, Meere voll Champagner,
blaue Ferraries, vollblütiges Lipizzaner Gestüte,
dutzende von Dior-Boutiken, Gold in Gelten,
Schlösser in Schweden, Paläste in Acapulco
sind bereit für dich meiner Wundertüte.


Ungeduldig, ungestüm erwartend, verschwind ich mit dir
in den Tunnel der gar nicht heil'gen Geister,
deren grausig Anblick und Getue völlig ignorierend.
Die unmittelbare Nähe deiner rubens-reifen Weibssymbolen
ist zu mächtig, um nicht ein unersättlich Blick
in den Ausschnitt deines Kleids zu wagen.
Deine innerst-tiefsten Wünsche werd ich erahnen,
und dies zu jeder Zeit,
zärtlich dich beruhigen, glühend dich begehren,
die Sorgen dir vom Stirnchen küssen,
auf Fingerspitzen dich tragen ins Nirwana
der Glückseligkeit.


Munter plaudernd sitz ich zu Tisch mit dir,
einen langen Augenblick zu weilen.
Die Farbe der Zuckerwatte zwischen deinem Mund und mir
ist fast so pastellend rosa wie der feine Träger,
der jetzt so aufregend betörend unter deiner Bluse
ein ganz klein wenig über deine Schulter gleitet,
es mir wieder ins Bewusstsein bringend,
welch absolute Schönheit du doch bist,
und warum all männlich Luftballone dieser Erde
um den Platz an deinem Finger streiten.

Die Zeit auf dem Rummelplatz der Illusionen geht zu Ende.
Ungewollt, den unausweichlichen Gesetzen folgend,
werd ich von deinem Handgelenk getrennt,
entweichen, entschweben, entschwinden,
übers Schwandenholz, Stadlerberg, Schwaderloh,
Schwarzwald, Skagargt, Spitzbergen's eisig Küsten,
vorbei am Mond, an Jupiter, an umbenannten Galaxien,
hin zum schwarzen Loch,
von wo dir ein leises, erlösend "Plapf!"
ein unendliches "Ich lieb dich" flüstern.


H. Aemmerli, 1992

Informationen zum Gedicht: Der verliebte Luftballon.

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24.10.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (H. Aemmerli) für private und kommerzielle Zwecke frei verwendet werden.
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